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A) Motivation und Problemstellung
Der Computer ist heute eines der wichtigsten Hilfsmittel beim
Entwurf und der Entwicklung von Fahrzeugen. Zunächst wurde er von
Konstrukteuren für das Computer Aided Design (CAD) von virtuellen
Fahrzeugmodellen eingesetzt. Inzwischen ist er in vielen anderen
Bereichen der Fahrzeugentwicklung unentbehrlich geworden: der
Entwicklungszyklus von Automobilen ist durch die Computer-gestützte
numerische Simulation substanziell verkürzt worden. An virtuellen
Prototypen gewonnene Ergebnisse können zunächst optimiert und
anschließend am realen Prototypen validiert werden. Untersuchungen
der Fahrdynamik, des Crash-Verhaltens, der Innenraumakustik und der
Außenhautumströmung sind nur einige Anwendungsfelder, in denen
Computer-basierte Technologien zur Senkung der Entwicklungskosten
beitragen.
Nach den Vorgaben aus dem Design wird ein Konstruktionsmodell
erstellt; die erzeugten CAD-Daten beschreiben die
Fahrzeugkomponenten anhand parametrischer Flächen und zusätzlicher
Materialinformationen. Um die Daten in numerischen Simulationen
verwenden zu können, müssen die Flächenbeschreibungen zunächst
diskretisiert werden. Für die Strukturmechaniksimulation wird das
CAD-Modell daher in ein Finite-Element-Modell umgewandelt, das dann
zum größten Teil aus drei- und viereckigen Schalenelementen
besteht. Das Finite-Element-Modell wird in einem
Vorverarbeitungsschritt aufbereitet und mit zusätzlichen Daten
ergänzt, bevor es dem Simulationsprogramm als Eingabedaten
übergeben wird. Nach der meist sehr zeitintensiven Simulation, die
für Gesamtfahrzeugmodelle mehrere Tage in Anspruch nehmen kann,
liegen als Ergebnis große Datenmengen vor. Diese können aufgrund
ihres Umfangs und ihrer Komplexität nur mit ausgereiften
Visualisierungswerkzeugen ausgewertet werden. Die Erkenntnisse aus
der Simulationsanalyse fließen an den Konstrukteur zurück. So
schließt sich der Zyklus, der den virtuellen Prototypen solange
iterativ verbessert, bis alle Zielgrößen erreicht werden.
Bereits Anfang der achtziger Jahre wurden Strukturanalysen mit Hilfe
numerischer Simulation anhand einfacher Balkenmodelle durchgeführt.
Die Modellkomplexität geht mit der Leistungssteigerung der Hardware
und der Weiterentwicklung der Simulationssoftware einher: die
Modellgröße hat sich seitdem alle drei Jahre mehr als verdoppelt.
Der Notwendigkeit, dem Entwicklungsingenieur entsprechende
Visualisierungswerkzeuge zur Verfügung zu stellen, wurde bisher von
den Herstellern der Simulationssoftware mit eigenen Lösungen
begegnet. Anfangs entstanden einfache Darstellungsanwendungen, die
das Fahrzeug als Gittermodell zeichneten, ohne einen räumlichen
Eindruck zu vermitteln; die Applikationen wurden weiterentwickelt,
entsprechen jedoch heute in der Regel nicht mehr dem, was im Bereich
der Softwareentwicklung und vor allem der Visualisierung Stand der
Technik ist.
Der Fortschritt durch wissenschaftliche Forschung in der
Computergraphik und die Weiterentwicklung der Hardware, insbesondere
der Graphiksubsysteme, lässt die Lücke zwischen dem, was in der
Visualisierung möglich ist, und dem, was in kommerziellen Produkten
zur Datenanalyse angeboten wird, immer größer klaffen. Zudem ist
die Wissenschaft im Bereich der angewandten Informatik stets
bemüht, Einsatzgebiete zu identifizieren, in denen neu entwickelte
Methoden evaluiert und verbessert werden können. Eine enge
Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Wissenschaftlern erscheint
daher als sehr vielversprechend und zwingend notwendig.
Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen einer engen Kooperation mit der
Berechnungsabteilung der BMW-Gruppe entstanden. Sie hat zum Ziel,
den bestehenden Fahrzeugentwicklungsprozess im Umfeld der
Strukturmechaniksimulation zu analysieren und durch Adaption neuer
Methoden der Computergraphik aus anderen Bereichen sowie durch
Entwicklung neuer Visualisierungstechniken und
Interaktionsmechanismen zu beschleunigen. Eine Evaluation der
eingesetzten Konzepte soll anhand einer prototypischen Applikation
vorgenommen werden.
Bisher wurde in der Visualisierung im Bereich der
Strukturmechaniksimulation auf Basis von vierseitigen
Schalenelementen nur wenig geforscht. Für die Analyse von
Crash-Simulationsergebnissen müssen große, zeitabhängige
Datensätze effizient verarbeitet werden. Dabei soll die
Netzstruktur des Finite-Element-Modells erhalten bleiben, ohne dass
dabei auf hohe Interaktionsraten verzichtet werden muss. Eine
schnelle Datenaufbereitung spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle,
wie die Navigation durch das virtuelle dreidimensionale
Fahrzeugmodell mit Hilfe der an einem Standardarbeitsplatz
vorhandenen Eingabegeräte.
Die Weiterentwicklung der Simulationscodes hat es ermöglicht,
Teilstrukturen mit Randbedingungen zu versehen, so dass nun
Berechnungen an Teilmodellen vorgenommen werden können. In der
Karosserieberechnung werden anstatt homogen vernetzter Gesamtmodelle
seitdem unabhängig voneinander vernetzte Bauteile zu virtuellen
Fahrzeugmodellen zusammengesetzt. Der Netzanschluss benachbarter
Bauteile wird nun nicht mehr über das aufwändige Abgleichen und
Nutzen gemeinsamer Randknoten hergestellt; stattdessen überlappen
die Bauteilnetze in Flanschbereichen, wo sie durch neu entwickelte
Verbindungselemente aneinander gebunden werden. Dies hat unter
anderem den Vorteil, dass einzelne Bauteile durch Varianten
ausgetauscht werden können, ohne dass die Umgebung neu vernetzt
werden muss.
Wichtige Entscheidungen müssen bereits in der frühen Phase eines
Fahrzeugprojektes aufgrund der durch numerische Simulation
gewonnenen Erkenntnisse getroffen werden. Das setzt voraus, dass die
bis dahin verfügbaren Konstruktionsdaten in rechenbare
Simulationsmodelle umgesetzt werden können. Durch die unabhängige
Vernetzung einzelner Bauteile und den unterschiedlichen
Konstruktionsstand der verschiedenen Fahrzeugkomponenten kommt es
nach der Zusammenführung häufig zu Berührungen und
Durchdringungen der Bauteilnetze im diskretisierten
Finite-Element-Modell. Diese müssen zunächst detektiert und
beseitigt werden, da sie ansonsten die Simulationsergebnisse
verfälschen würden. Darüber hinaus müssen die Bauteilnetze
miteinander durch Verbindungselemente verbunden werden. Da die
Konstruktionsdaten in der frühen Phase jedoch keine vollständigen
Verbindungsdaten beinhalten, muss der Berechnungsingenieur den
Datensatz mit entsprechender Information aufbereiten. Die
Vorverarbeitung von Eingabedaten für den Simulationsprozess nimmt
angesichts steigender Variantenrechnungen und einer halbwegs
automatisierten Standardauswertung der Simulationsergebnisse
gegenüber der Nachbearbeitung einen immer höheren Stellenwert ein.
Derartige Ergänzungen der Simulationsmodelle mussten bisher mit
Hilfe eines Text-Editors direkt an den Eingabedateien vorgenommen
werden. Netzfehler und fehlende Anbindungen zwischen Bauteilen
konnten lediglich durch Anrechnen des Modells entdeckt werden. Dazu
wurde der Simulationsprozess gestartet und nach einiger Zeit wieder
abgebrochen. Durch die Analyse der bis dahin berechneten
Zwischenergebnisse werden derartige Unzulänglichkeiten des
Eingabemodells sichtbar. Vorweggenommene Konsistenzprüfungen machen
zeitaufwändige Anrechnungen überflüssig.
Weiteres Prozessoptimierungspotenzial liegt in der Integration und
Angleichung verschiedener Werkzeuge. Eine enge Kopplung des
Simulationsprozesses an die Vor- und Nachbearbeitung der Daten durch
ein und dieselbe Applikation, die sowohl Ein- als auch Ausgabedaten
verarbeiten kann, schafft die Grundlage für eine schnelle Iteration
im Optimierungsprozess und trägt zur angestrebten Reduzierung der
vom Ingenieur zu bedienenden Vielzahl von Applikationen bei.
In Zeiten fortschreitender Globalisierung und Fusionierung, aber
auch durch zunehmendes Outsourcing der Teilmodellerstellung an
darauf spezialisierte Dienstleistungsunternehmen steigt der
Kommunikationsbedarf über räumliche Grenzen hinweg
zusammenarbeitender Entwicklungsteams. Kostenintensive
Besprechungen, zu denen sich alle Beteiligten an einem Ort
zusammenfinden müssen, können nur durch Verbesserung der bereits
vorhandenen Fernkommunikationsinfrastruktur reduziert werden. Da auf
die gemeinsame Betrachtung der Modelldaten als Diskussionsgrundlage
bei Besprechungen nicht verzichtet werden kann, bietet sich eine
netzwerkbasierte Kopplung entfernter Arbeitsplätze an, um kleinere
Besprechungstermine durch Telefonate mit zeitgleicher kooperativer
Visualisierungssitzung am Arbeitsplatzrechner ersetzen zu können.
Ein weiterer Aspekt befasst sich mit der Absicherung der
Zuverlässigkeit von Simulationsergebnissen. Um eine Aussage
darüber machen zu können, welche Modifikation der Fahrzeugstruktur
das simulierte Verhalten positiv beeinflusst hat, müssen zunächst
alle Einflussfaktoren, die auf die Simulation wirken, analysiert
werden. Dies geschieht in Stabilitätsanalysen, in denen anhand
gleicher Eingabedaten die Streuung der Simulationsergebnisse
gemessen und die Ursache dafür erforscht wird. Durch konstruktive
Maßnahmen soll in Ursprungsbereichen maximaler Streuung das Modell
dahingehend modifiziert werden, dass gleiche Eingabedaten zu
annähernd gleichen Simulationsresultaten führen.
Ziel dieser Arbeit ist, das Pre- und Postprocessing von
Strukturmechaniksimulation im Fahrzeugentwicklungsprozess bezüglich
neuer Funktionalität und Leistungsfähigkeit durch die Einbeziehung
neuer Graphiktechnologien sowie durch die Entwicklung neuer
Visualisierungsalgorithmen signifikant voranzubringen.
B) Beiträge dieser Arbeit
Da die Arbeit in enger Zusammenarbeit mit der
Karosserieberechnungsabteilung der BMW-Gruppe entstand und die
Forschungsergebnisse direkt von den Ingenieuren an alltäglichen
Problemstellungen eingesetzt werden sollten, mussten zunächst
Voraussetzungen für eine erhöhte Akzeptanz bei den Anwendern
geschaffen werden. Dazu gehören vor allem kurze Ladezeiten der
Daten, eine intuitiv zu bedienende Benutzerschnittstelle sowie
komfortable Funktionalität, die es ermöglicht, die Aufgaben
schneller zu lösen als mit anderen Applikationen. Die Analyse der
zu verarbeitenden zeitabhängigen Simulationsdaten und der zum
Einlesen zur Verfügung gestellten Bibliothek führte zu einer
geeigneten internen Datenstruktur, die eine effiziente
Datenaufbereitung erlaubt und damit zu geringeren Start-up-Zeiten
führt als bei vielen kommerziell verfügbaren
Visualisierungswerkzeugen. Ferner resultiert aus der Evaluation
verschiedener Szenengraphbibliotheken unter Berücksichtigung der
Rechnerplattform im Anwenderumfeld die Entscheidung zu Cosmo3D /
OpenGL Optimizer. Durch die Datenstrukturen und Funktionalitäten
der Bibliothek bleibt der Ressourcenbedarf im Zusammenspiel mit
einem optimierten Szenengraph-Design im Rahmen dessen, was auf einem
Standard-Arbeitsplatzrechner zur Verfügung steht.
Zur Beschleunigung der Bildsynthese werden bereits bekannte
Verfahren zur Optimierung polygonaler Modelle für die
Weiterverarbeitung in der OpenGL Pipeline mit adaptierten
Algorithmen verglichen, die unter Berücksichtigung der zugrunde
liegenden Daten Quadrilateralstreifen maximaler Länge bilden.
Zusätzlich wird der Einsatz verschiedener Detailstufen im
CAE-Umfeld untersucht und eine Lösung zur deutlichen Steigerung der
Bildwiederholrate während der Navigation durch das
Finite-Element-Modell präsentiert.
Durch die Entwicklung und Evaluation Textur-basierter
Visualisierungsverfahren werden deren Vorzüge anhand verschiedener
Beispiele aus dem Berechnungsumfeld verdeutlicht. Daraus lässt sich
die Notwendigkeit ableiten, Standard-Arbeitsplatzrechner in Zukunft
mit entsprechender Graphik-Hardware auszustatten, um von den
Möglichkeiten moderner Visualisierungsalgorithmen profitieren zu
können.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde die Möglichkeit geschaffen,
nach dem interaktiven Zusammenführen der Modellkomponenten aus
verschiedenen Datenquellen auftretende Netzfehler zu visualisieren
und selektiv zu beheben. Dazu kommen auf hierarchischen
Datenstrukturen basierende Algorithmen zum Einsatz. Verbunden mit
Methoden zur Darstellung und interaktiven Modifikation von
Verbindungselementen sowie der Detektion fehlerhafter
Schweißpunktdaten wird die Grundlage geschaffen, um
Finite-Element-Modelle für die Crash-Simulation effizient
aufzubereiten und die Modellerstellung für Variantenrechnungen
stark zu vereinfachen. Speziell auf die Bedürfnisse der
Berechnungsingenieure zugeschnittene Interaktions- und
Navigationsmechanismen sowie frei bewegliche Clip-Objekte
erleichtern den Umgang mit den Modelldaten.
Durch die Entwicklung dreidimensionaler Selektionsobjekte und eine
effiziente Schnittkraftberechnung steht die Kraftflussvisualisierung
mit Hilfe dynamischer Kraftflussröhren nun auch als interaktives
Analysewerkzeug im Postprocessing zur Verfügung. Die Berechnung der
notwendigen Größen im Batch-Betrieb und die anschließende
Zwischenspeicherung in einem eigenen Dateiformat ermöglicht die
Standardauswertung von festgelegten Kraftflussverläufen im
Anschluss an die Simulation. Dies trägt weiterhin zur
Beschleunigung und Automatisierung der Nachverarbeitung bei. Mit der
Entwicklung eines Bild- beziehungsweise Filmgenerators konnte mit
Ergebnissen dieser Arbeit zur Entwicklung eines
Integrationswerkzeuges für die Ablaufsteuerung und das
Datenmanagement in der Karosserieberechnung beigetragen werden.
Es werden zwei Lösungen für Szenarien einer kooperativen Sitzung
mit mehreren Rechnern präsentiert. Die Ergebnisse zeigen auf, wie
zeitaufwändige Treffen zwischen Ingenieuren durch Telefonate mit
gleichzeitiger kooperativer Visualisierungssitzung ersetzt werden
können. Das vorgestellte Verfahren zur Stabilitätsanalyse von
Simulationsprozessen hilft, Ursprünge von Instabilitäten
aufzudecken und die Aussagekraft der Simulationsergebnisse
verbesserter Modelle zu erhöhen.
Durch diese Arbeit ist eine prototypische Visualisierungsplattform
für die Vor- und Nachbereitung von Strukturmechanikdaten namens
crashViewer entstanden. Das objektorientierte Softwaredesign des
Prototypen erlaubt die Integration weiterer Datenformate sowie die
Implementierung neuer Algorithmen zu deren Evaluation im produktiven
Einsatz in der Karosserieberechnung, aber auch in anderen
CAE-Bereichen.
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